25 Jahre Volkskammer-Wahl - Erinnerungen und Gedanken von Andreas Holzapfel
Das waren aufregende Zeiten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich sie und vor allem so sehr vor Ort habe erleben dürfen. Zwar hatte ich sogar als "Wessi" - was es damals ja noch gar nicht gab -, schon Berührungen und Erfahrungen mit und in der DDR gemacht, wohin mich meine Tätigkeit als Herstellungsleiter des Verlags Gebrüder Holzapfel, in dem eine Monografienreihe über die DDR erschien, von Zeit zu Zeit führte; die intensiven Einblicke, viele Erlebnisse und persönliche Begegnungen begannen aber erst in den Dezemberwochen 1989.
Ja, und das war ein Glück, wir waren unmittelbar nach dem Fall der Mauer in Ostberlin tätig, wir, das waren mein Vater Klaus-J. Holzapfel, damals Verleger der NDV und 59 Jahre alt und ich, Andreas Holzapfel, damals angehender Nachfolger des Vaters und 31 Jahre alt. Glück deshalb, weil es mir möglich gemacht wurde ja gewissermaßen zufiel, im eigenen Tun den anderen Teil Deutschlands kennenzulernen, Umstände und Atmosphäre der Umbruchtage und -wochen zu erleben und Zeitzeuge dieser aufregenden Zeiten zu werden.
Erste Anlaufstelle für uns war der Staatsverlag der DDR, zu dem es schon vorher Verlagskontakte gab, die auf kurze Treffen während der Buchmessen in Frankfurt und Leipzig zurückgingen. Wie haben wir seinerzeit kommuniziert? Ich glaube, wir sind einfach hingefahren, haben uns angemeldet und gewartet. Der Staatsverlag residierte in der damaligen Otto-Grotewohl-Straße, jetzige Wilhelmstraße 54, heute befindet sich dort der Berliner Dienstsitz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft
Westdeutsche Verlage, ich nenne sie mal so, gaben sich beim Staatsverlag der DDR die Klinke in die Hand, deren Interesse an einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der juristischen Fachliteratur nur zu logisch war, entwickelte und öffnete sich doch ein neuer "deutscher" Markt. Wir, die NDV (erst seit etwa fünf Jahren firmieren wir lieber unter Kürschners Politikkontakte), hatten im Blick, gemeinsam mit dem Staatsverlag die "parlaments- und regierungs-demokratischen" Vorgänge und Entwicklungen publizistisch zu begleiten, man ließ uns ein.
Es folgten mehr oder weniger regelmäßige Treffen, stets im Blick dabei waren die politisch-demokratischen Entwicklungen in der DDR, die schon bald auf die ersten und einzigen freien Volkskammerwahlen im März 1990 zuliefen. Schnell wurde beschlossen, nach dem Vorbild des "Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag", so bald wie möglich nach der Wahl ein gedrucktes Verzeichnis über die Abgeordneten der 10. Volkskammer vorzulegen.
Mit Hilfe der Kontakte des Staatsverlags erhielten wir Zugang zu den verantwortlichen Stellen der Verwaltung der Volkskammer, die uns Material zuarbeiten sollte und die im Vorfeld der Wahlen - personell fast hilflos unterbesetzt - zu stemmen hatten, was zu stemmen war. So war es durchaus üblich und nie böse gemeint, dass der verabredete Termin auf sich warten ließ, häufig etliche Stunden. Ich erinnere mich, dass ich eines Tages mal wieder mehrfach und um Stunden "verschoben" wurde, mit einem weiteren Gast im "Wartezimmer" saß, mit dem ich ins Gespräch kam. Es war der leider viel zu früh verstorbene Politikwissenschaftler Prof. Dr. Uwe Thaysen, der zu dieser Zeit neben seiner Teilnahme am zentralen "Runden Tisch" auch die Verwaltung der Volkskammer in Vorbereitung auf die Wahl beriet. Es wurde ein tiefgehendes unvergessliches Gespräch.
Die Dinge gingen voran, die Wahl fand statt, die geplante Broschüre über die 400 Abgeordneten der 10. Volkskammer erschien etwa sechs Wochen nach der Wahl, die gedruckte Auflage betrug 11.000 Exemplare. Sie wurde ein Erfolg und erfüllte den ihr zugedachten Auftrag. Ein Fehler hatte sich allerdings eingeschlichen, die Fotos der Abgeordneten Dr. Thomas Klein und Matthias Platzeck wurden, sicher wegen einer gewissen Ähnlichkeit beider Personen, vertauscht, was wir erst Jahre später erfuhren. Aber sehen Sie selbst.
Mit dieser DIN A4-Broschüre über die erste frei gewählte Volkskammer der DDR in der Hand und unseren Volkshandbüchern über Landesparlamente in, ich sage jetzt wieder "Westdeutschland", bekam ich später im Jahre, vor allem nach dem 3. Oktober 1990 Zugang zu vielen Stellen und Gesprächspartnern der neuen Landtage.
Es begann eine Zusammenarbeit, die irgendwie anders war. Es waren zunächst vorsichtige Gespräche, nicht laut eher leise, nicht verkäuferisch eher beratend, nicht wirtschaftlich geprägt eher inhaltlich. Wir lernten voneinander, wir erlebten Unterschiede, die nicht zu bewerten waren, wir näherten uns an, es entstand Vertrauen, wir schufen gemeinsam die Basis des Miteinanders. So waren wir mittendrin in fast hoheitlichen Dingen, die zwar in sich klein sein mögen, aber doch getragen wurden von einer gewaltigen Größe und Wichtigkeit.
Nehmen Sie sich etwas Zeit, "blättern Sie in der 10. Volkskammer", mögen sich auch bei Ihnen lohnenswerte Erinnerungen einstellen.
Ihr
Andreas Holzapfel,
Berlin im Frühjahr 2015